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Das Jahr 2018 beginnt mit gemischten Gefühlen: Nie in seiner Geschichte hatte Österreich eine derart stramm rechtspopulistische Regierungsspitze mit deutschnationalen Burschenschaftern in Führungspositionen. Vor welche Herausforderungen unser demokratisches Bewusstsein gestellt wird, lässt sich zwar durch das Regierungsprogramm der beiden Parteien skizzieren, wie die rechten HardlinerInnen dann wirklich agieren, wird sich zeigen.

Von Carolina Forstner

Das Jahr 2018 markiert nicht nur den Beginn einer Koalition zwischen Schwarz-Türkis-Blau, sondern ist auch ein Jahr gespickt mit Gedenktagen und –feiern: Neben dem „Hauptevent“ der Republiksgründung am 12. November 1918 werden noch andere wichtige Mosaiksteinchen, die, wie es so schön heißt, „das kollektive Gedächtnis“ einer Gemeinschaft prägen, in den Fokus der gesamtösterreichischen Erinnerung gerufen. Hier sollen das Revolutionsjahr 1848, der 12. März 1938, der den „Anschluss“ an Hitlerdeutschland markiert, die Novemberpogrome des selbigen Jahres, das Jahr 1948 mit der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen, das Jahr 1958 mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Österreich und schließlich die 68-er Bewegung im Jahr 2018, so das Bundeskanzleramt in einer Meldung aus dem August 2018, als Christian Kern noch vom Ballhausplatz 2 aus regierte, thematisch behandelt werden.

Das kulturelle Gedächtnis

Der Begriff des „Gedächtnisses“ wie wir ihn heute verwenden ist ein relativ junges Denkmodell. Der deutsche Kulturwissenschaftler Jan Assmann prägte den Begriff des kulturellen Gedächtnisses erst in den späten 1980-er Jahren. Als Fixpunkte für seine Vorstellung eines Denkmusters von Kollektiven definierte Assmann „schicksalshafte Ereignisse der Vergangenheit, deren Erinnerung durch kulturelle Formung (Texte, Riten, Denkmäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) wachgehalten werden.“[1] Zu diesen „Erinnerungsfiguren“, wie Assmann die Fixpunkte des kulturellen Gedächtnisses auch noch in seinen Werken nennt, gehören somit auch Tage wie der 12. November 1918, ein Datum, das einer ganzen Nation zum Zweck der Selbstvergewisserung der (vermeintlichen) „Werte“ und „Identität“ dient.

Das Henne-Ei-Problem der Erinnerungskultur

Einhergehend mit diesem doch sehr jungen Denkmodell kommt schnell die Frage auf: Was war zuerst da? War es die wissenschaftliche These des kulturellen und kollektiven Speicherorts, ein Ventil für ein neu aufkommendes Erinnerungsbedürfnis am Ende des 20. Jahrhunderts, oder haben sich erst unter dem Leitwort „Gedächtnis“ gesellschaftliche Bewegungen formiert? Das Henne-Ei-Problem, ein spannendes Thema, welches die Wissenschaft bis heute aufreibt. Die Historikerin Heidemarie Uhl formuliert ihre Fragestellung an die „Kultur der Gedächtniskultur“ in einem Ö1 Beitrag vom 8. Jänner folgendermaßen: „Wie entsteht das Neue, wie formieren sich die sozialen Energien und Kräftefelder, die kulturellen und gesellschaftlichen Wandel vorantreiben?

Du bist wem/an was du gedenkst?

Die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges wurden im Nachkriegsösterreich jahrzehntelang marginal aufgearbeitet und galten bis zur Zäsur der „Waldheim-Affäre“ als rotes Tuch der eigenen Geschichtsschreibung, schließlich war die „Opferthese“ eine willkommene Lösung, eine „österreichische Identität“ aufzubauen. Warum also alte Wunden aufkratzen und so das neugeschaffene Gemeinschaftsgefühl beschädigen?

Erinnerung und Gedenken kann in uns noch so viel mehr sein als ein stumpfes, hochstilisiertes Gemeinschaftsgefühl, und damit verbunden ein Überlegenheitsgefühl gegenüber „den Anderen“ evozieren. Erinnerungsorte und Artefakte werden, und das muss uns klar sein, ständig neu interpretiert und mit neuen Lesarten aufgeladen. Wie die neue Bundesregierung mit Gedenktagen wie dem Novemberpogrom umgeht wird sich in wenigen Monaten zeigen. Wir, unter diesem „Wir“ verstehe ich keine ausgrenzende Mehrheitsgesellschaft, sondern eine pluralistische und wachsame Zivilgesellschaft, müssen es uns zur Aufgabe machen, genau hinzusehen, Inhalte zu hinterfragen und Denkmuster neu zu interpretieren.

  • [1] Assmann, Jan (1988): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt: Suhrkamp.

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