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Braunau – Eine Stadt mit fahlem Beigeschmack, die seine Wirkungsmacht als Geburtsort des ‘Führers’ wohl nie vergessen wird. Innenminister Wolfgang Sobotka kündigte Mitte Oktober den Abriss Hitlers Geburtshauses an – revidierte seine Aussage nach Lautwerden vieler kritischer Stimmen jedoch innerhalb von 24 Stunden teilweise wieder.

Die “Wiege des Führers” wurde wieder in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Was tun mit Adolf Hitlers Geburtshaus? Carolina Forstner hat mit Ass.-Prof. Dr. Roland Cerny-Werner, welcher an der Universität Salzburg lehrt und durch jahrelange Erfahrung als pädagogischer Begleiter an den Gedenkstätten Mauthausen und Buchenwald wichtige Erfahrungen in der Gedenkstättenpädagogik gesammelt hat, über das Geburtshaus Hitlers, Gedenkstättenpädagogik und eine angemessene Form der Erinnerung an unsere nationalsozialistische Vergangenheit gesprochen.

Hitler-Geburtshaus

(c) Thomas Ledl wikipedia

uni:press: Wie soll Ihrer Meinung nach mit dem Geburtshaus Hitlers umgegangen werden?

Cerny-Werner: Ich finde in erster Linie alle Möglichkeiten legitim. Natürlich stellt sich dann hier die Frage von Abriss oder Erhalten dieses historischen Artefaktes. Für mich persönlich ist nicht entscheidend, was man damit macht, sondern warum.

uni:press: Aber mal grundsätzlich: Was sagt es über österreichische Politik aus, wenn der Innenminister den Abriss empfiehlt?

Cerny-Werner: Sagt er einfach: “Abreißen und weg damit!”, dann muss ich sagen, das ist das Schlechteste, was nur gemacht werden kann, weil es eine ganz klare Schlussstrich-Allegorie ist, ein Stück Geschichte, das man nicht mehr haben möchte. Wenn man aber nun ohne diese Abschlussmetaphorik an die Sache rangeht und man das Geburtshaus abreißt, um zum Beispiel ein Dokumentationszentrum zu errichten, finde ich es nicht verwerflich. Braunau wird mit oder ohne Geburtshaus immer mit Adolf Hitler in Verbindung gesetzt werden.

uni:press: In welche ‘Kategorie’ würden Sie das Hitler-Geburtshaus neben ‘Tatortstätten’ wie etwa dem Konzentrationslager Mauthausen einordnen?

„Wenn die Menschen, die eine gleiche Erziehung genossen haben wie ich, die gleichen Worte sprechen wie ich und gleiche Bücher, gleiche Musik, gleiche Gemälde lieben wie ich – wenn diese Menschen keineswegs gesichert sind von der Möglichkeit, Unmenschen zu werden und Dinge zu tun, die wir den Menschen unserer Zeit, ausgenommen die pathologischen Einzelfälle, vorher nicht hätten zutrauen können, woher nehme ich die Zuversicht, dass ich davor gesichert sei?“

Max Frisch, 1946

Cerny-Werner: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir über die Fragestellung der Authentizität von historischen Orten reden, ich halte diese nämlich für höchst problematisch. Was heißt authentisch überhaupt und welche Intention hat der/die SprecherIn dahinter? Oft wird Authentizität verwendet, um einen Ort mit vermeintlicher Beweiskraft zu beladen, weil dieser, so die Überlegung dahinter, vermeintlich Geschichte aus sich selbst heraus abbildet. Das tun Orte meines Erachtens aber nicht. Ein Ort bringt nichts aus sich selbst hervor, ein Ort muss aufgeschlossen und durch die Menschen, die sich diesen ansehen, erkannt werden. Dieser Überlegung folgend stellt sich für mich die Frage: Was hat Authentizität für einen Wert? Was ist ein historischer Ort? Ist Authentizität etwas, das ich einem Ort retrospektiv überstülpe?

Zur ursprünglichen Frage zurückkommend: Nein, das Geburtshaus Adolf Hitlers lässt sich nicht neben eine Gedenkstätte wie etwa Mauthausen einreihen, der Begriff ‘Gedenkstätte’ wäre hier auch komplett falsch verwendet. Wessen gedenkt man denn hier? Ich persönlich finde die Idee des Dokumentationszentrums, ähnlich wie am Obersalzberg in Berchtesgaden, für ein mögliches, gutes Konzept für das Geburtshaus Adolf Hitlers. Er wird auch in der Zukunft nicht aus der kollektiven Erinnerung von Generationen nach uns getilgt werden können. Es ist also essentiell, diesen Ort nicht zu einer Pilgerstätte verkommen zu lassen. Man kann solche rechtsextremen Strömungen nicht beseitigen, muss sich ihrer aber bewusst sein und durch eine gute Ausstellung, Dokumentation und pädagogische Arbeit solchen Plätzen eine neue Interpretationsperspektive hinzufügen. Was meiner Meinung nach ein großer Fehler wäre, wäre ein Rückfall in eine längst überholte ‘Führer-These’, gerade nicht an einem Ort wie Braunau. Man muss thematisieren, dass Adolf Hitler ein wichtiges Momentum des Nationalsozialismus war, aber dass der Nationalsozialismus so viel mehr als Hitler ist. Die Personalisierung und Fokussierung auf einzelne Personen als ‘Monster’ oder ‘Psychopathen’, siehe etwa Josef Mengele, führt zu einer viel wichtigeren Frage: Wie kamen solche SadistInnen in diese tragenden Rollen? Man muss den Nationalsozialismus als Gesamtheit abbilden, um ihn und die dahinterstehende perfide Systematik zu verstehen.  

uni:press: Sie haben jahrelang Führungen in Gedenkstätten des Nationalsozialismus gegeben, welche Funktion führen diese ihrer Meinung nach aus?

Cerny-Werner: Meiner subjektiven Ansicht nach ist eine Gedenkstätte ein Ort von Bildung und Informationsgabe. Gedenkstätten sind für mich Orte, wo Geschichte erarbeitet wird. Primär geht es nicht darum, aus der Geschichte zu lernen. Es besteht natürlich die Möglichkeit, in der Analyse von Geschichte an solchen Orten Handlungsvorschläge zu geben und Ideen zu entwickeln. Ich würde jedoch das “Lernen aus der Geschichte” nicht als Ziel von Gedenkstättenpädagogik sehen.

Man muss den Mut haben, Gedenkstätten als pädagogische Experimentierfelder zu begreifen. Man soll als PädagogIn sich diesen Orten nähern und deren Potenzial in der Zusammenarbeit mit den Menschen, die man an diesen Orten begleitet, erkennen. Mit mehr würde man diese Plätze auch überlasten. Gerade aus meiner Erfahrung in der damals noch in Ostdeutschland gelegenen Gedenkstätte Buchenwald konnte ich mitverfolgen, wie sich Begrifflichkeiten transformierten. Nach der Wende 1989 wurde die Bezeichnung ‘Mahn-und Gedenkstätte’ abgewandelt, die Mahnstätte wurde aus der Bezeichnung gestrichen, weil sie viel zu politisierend und teleologisch war. Der Ausdruck “Mahnstätte“ zwang die BesucherInnen förmlich zum Mahnen an die Vergangenheit. Eine Gedenkstätte sollte seinen BesucherInnen keine vorgefertigten Opfer-oder TäterInnenbilder an den Kopf projizieren, sondern zuallererst eigene Denkprozesse anregen.

uni:press: Was war Ihr persönlicher Anspruch an die Arbeit als pädagogischer Begleiter in Gedenkstätten?

Cerny-Werner: Der Anspruch an meine Arbeit war, dass die BesucherInnen mit mehr Fragen gehen als sie kommen. Ich kann Ihnen auch verraten, was definitiv nicht Ziel meiner Arbeit war – mein Bestreben lag definitiv nicht darin, Antworten zu geben. Ich konnte Fragen, die mir gestellt wurden, versuchen zu beantworten, und zwar dahingehend beantworten, dass ich versuchte, Denkprozesse anzuregen. Es geht mir an einem Gedenkort nicht darum, den Menschen zu sagen, was der Ort ist und was hier in der Vergangenheit passiert ist, sondern es geht für mich viel mehr darum, mit den Menschen gemeinsam den Ort zu entdecken.

uni:press: Was hat sich in den letzten Jahren in der Gedenkstättenpädagogik verändert?

Cerny-Werner: Vieles hat sich zum Positiven verändert. Das Konzept des entdeckenden Lernens wurde in den letzten Jahren zentral implementiert und in die didaktische Arbeit vieler Gedenkstätten aufgenommen. Es geht zum Glück nicht mehr darum, Emotionen zu evozieren, positive wie negative, die Herstellung von vermeintlicher Empathie oder aufgetürmter Leichenberge. Große Beliebtheit widerfuhr auch einer Methode, wo an Orten wie den Appellplätzen der Konzentrationslager BesucherInnen im Winter angehalten wurden, fünf Minuten zu verharren, um “zu spüren, was die Häftlinge wohl damals gespürt haben.” Für mich ein fataler Ansatz! Man kann solche Orte nicht erleben, man kann sich nicht in ein InsassInnenleben hineinversetzen. Was ich versuchen kann, ist die Mechanismen, die zu dieser Unmenschlichkeit geführt haben, zu erkennen. Ich kann und darf Jugendliche nicht in solche Schockmomente versetzen, Schock ist kein Lernzustand und wenn sie frieren gehts auch nicht. Im Grunde musste man bei solchen Anfragen von LehrerInnen antworten: „Gut, zieht euch jetzt alle ein Leinenhemd und – Hose an und stellt euch mal zwei Stunden in den Schnee.” Diese Anfragen wurden im Übrigen natürlich immer abgelehnt. Wir wollten keine Überemotionalisierung, das heißt nicht, dass wir Emotionen verhindern wollten. Es geht mitnichten darum, die Opfer zu vergessen, aber es muss klargemacht werden, dass Konzentrationslager nicht nur Orte der Opfer sind, sondern genauso Wirkstätten von TäterInnen. Man muss auch den TäterInnen Platz geben, das heißt jetzt nicht, sie zu ehren, sondern TäterInnen zu thematisieren. Beide Perspektiven sind essentiell, um die Wirkungsmacht und Multifunktionalität einer Gedenkstätte zu begreifen.

uni:press: Unser Magazin richtet sich auch an angehende PädagogInnen – Wie denken Sie sollten diese Inhalte vor dem Besuch einer Gedenkstätte, wie etwa Mauthausen, vermittelt werden?

Cerny-Werner: Das A und O ist eine gründliche Vor- und Nachbereitung. Arbeitsaufträge an SchülerInnen zu stellen, finde ich hierbei eher problematisch, weil so verhindert wird, eine Gedenkstätte zum Erkennen und eigenständigen Denken freizugeben. Viel wichtiger als rigide Arbeitsaufträge ist es, Fragen an die Schüler zu stellen, zum Beispiel: “Was sind eure Erwartungen an diesen Ort? Was denkt ihr, werdet ihr sehen? Habt ihr Ängste?” Solche Themen müssen in den Fokus einer guten didaktischen Aufbereitung gestellt werden. Gerade KZ-Gedenkstätten erfordern die Freiheit des Denkens, weil viele SchülerInnen Angst haben, Fragen zu stellen, weil sie denken, dass diese an einem solchen Ort nicht erlaubt wären. Zum Beispiel: “Wie hat man denn die Öfen beheizt?” Eine Frage, die, wenn sie gestellt wird, total verschämt in den Raum gestellt wird. Natürlich ist eine Gedenkstätte ein Ort des Gedenkens an die Opfer, deswegen würde ich oben gestellte Frage nicht direkt in einem Krematorium beantworten, da die Verbindung mit dem Gedenken an die Opfer für mich an diesem Ort zu stark ist. Jedoch sollte man als GedenkstättenpädagogIn und selbstverständlich auch als LehrerIn Fragen zulassen, ernst nehmen und versuchen, zu beantworten.

Hierbei möchte ich noch einen wichtigen Aspekt von meinem Verständnis von Gedenkstättenpädagogik anfügen: Der Gedenkstättenbesuch muss auf Freiwilligkeit basieren. Wenn ein/e BesucherIn etwas nicht sehen möchte, ist dies zu respektieren, ohne Diskussion, ohne Nachfrage von Gründen.

uni:press: Was haben Sie persönlich aus Ihrer Arbeit als Gedenkstättenpädagoge mitgenommen?

Cerny-Werner: Die Arbeit an den Gedenkstätten hat mich stark beeinflusst und geprägt. Ich kann für mich persönlich sagen, dass diese Orte und auch meine Tätigkeit dort meine politische Einstellung geformt haben.

Das Interview war lang, eineinhalb Stunden sprach Roland Cerny-Werner mit Begeisterung von traurigen, aber auch lebensbejahenden Momenten seiner Zeit als pädagogischer Begleiter in den Gedenkstätten Mauthausen und Buchenwald. Gespickt sind diese Erinnerungen mit Anekdoten, die mich zum Nachdenken bringen. Das Diktiergerät ist schon eingesteckt, unsere Taschen gepackt und wir sind bereit zum Gehen, als er noch hinzufügt: “Wissen Sie, was mir große Sorgen macht? Ich habe Angst, dass Identitäre nun versuchen, diese Gedenkorte langsam und schleichend zu ‘entdecken’ und für sich zu vereinnahmen.”

Daheim angekommen denke ich über das Gehörte nach. Immer wieder tauchen Phrasen des Gesprächs vor meinem geistigen Auge auf, ein gewichtiges Thema, starker Tobak. Eine Stelle des Interviews blieb mir besonders in Erinnerung. In dieser reflektiert Cerny-Werner die aktuelle politische Situation mit historischen Bezügen:

Man darf nie vergessen: Eine Gedenkstätte ist ein Ort, den Menschen gemacht haben. Diese Orte bildeten größte Brutalität und größte Menschlichkeit ab, aber genau das ist unsere Welt. Konzentrationslager sind eine extrem kondensierte und unter Druck gesetzte Abbildung einer Gesellschaft. Dies lässt sich auch auf unsere heutige Gesellschaft ummünzen: Was hat Donald Trump zum Beispiel in seinem Wahlkampf gesagt, welche Konzepte wurden dort in den Raum gestellt? Eine riesige Mauer zu bauen, Menschen auszugrenzen? Genau damit fängt sowas an. Sprache ist Tat. Mit welcher Berechtigung kann ich sagen: “So etwas kann uns nie wieder passieren?”

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