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Studierst du noch oder lebst du schon von Tiphaine Riviere

„Und Sie sind sicher, dass Sie eine Doktorarbeit schreiben wollen?“

Das Graphic Novel „Studierst du noch oder lebst du schon?“ von Tiphaine Rivière erzählt augenzwinkernd über die vielen Tücken und wenigen Freuden eines Doktoratsstudiums.

Von Christoph Mödlhamer.


Jeanne Dargan kann endlich ihren verhassten Job als Lehrerin in einer Pariser Problemschule hinter sich lassen, denn die Sorbonne Université sagt ihr eine Doktorandinnenstelle zu. Jeanne wird in Literaturwissenschaft über Franz Kafka promovieren. Betreut wird sie durch Professor Karpov, eine der Koryphäen auf dem Gebiet. Akademischer Ruhm scheint ihr gewiss. Jeannes Freude könnte größer nicht sein. Da macht es auch nichts, dass ihr die Universität kein Stipendium gewährt: Jeanne ist fest entschlossen, das Vorhaben Dissertation in drei Jahren abgeschlossen zu haben. Dazu fertigt sie einen akribisch durchdachten Arbeitsplan an. So weit, so gut. Wäre da nicht die – unter Studierenden allseits bekannte – Gefahr der endlosen Prokrastination. Ehe sie mit dem Schreiben beginnt, müssen neue Quellen erforscht und neue Felder erschlossen werden – eine Sisyphusarbeit. Für Jeanne beginnt somit eine Zeit der Entsagung, des Zeit- und Geldmangels.

Wann bist du fertig? Worüber schreibst du? Warum?

Die Autorin des Graphic Novels „Studierst du noch oder lebst du schon?“ (im Original „Carnets de thèse“) Tiphaine Rivière weiß dabei, wovon sie spricht. Nach drei Jahren brach sie ihre eigene Doktorarbeit in Literatur zugunsten ihres Debütromans ab. Man darf also mutmaßen, dass einige der Erfahrungen der fiktiven Jeanne mit jenen der Autorin deckungsgleich sind. Dabei zeichnet sich Rivière mit einem guten Gespür für witzige Situationen aus, mit denen sich Studierende, vor allem der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, konfrontiert sehen. Etwa die Familie, die wissen will, wann die Arbeit endlich fertig wird und worum es darin überhaupt geht. Oder ein Familienmitglied, das in einem naturwissenschaftlichen Fach zu einem nachvollziehbaren Thema promoviert und deshalb mehr geachtet wird. Sogar die ewig nagende Frage nach dem „wozu?“ wird pointiert behandelt, als die Supermarktkassiererin zu Jeanne sagt, sie habe in Paläontologie promoviert, aber gebracht habe es ihr nichts. Jeanne lässt sich von alldem anfangs nicht beirren. Erst als ihre Freundinnen heiraten oder schwanger werden, macht sich in Jeanne das Gefühl breit, das richtige Leben ziehe an ihr vorbei. Auch ihr erhabenes Bild des Wissenschaftsbetriebs wird durch das Desinteresse ihres Betreuers und des harten Konkurrenzkampfes unter den Promovierenden zerstört. Von der anfänglichen Euphorie ist keine Spur mehr: Jeanne wird zunehmend zu einer von ihrer Arbeit besessenen Exzentrikerin. Darunter leidet auch ihre Umwelt: Krisen in zwischenmenschlichen Beziehungen zeichnen sich nach und nach ab; drohen zu eskalieren.

Prokrastinationseignung: hoch

Ob und wie es Jeanne gelingt, die Herkulesaufgabe Promotion sowie persönliche und zwischenmenschliche Krisen zu bewältigen, soll hier nicht vorweg genommen werden. „Studierst du noch oder lebst du schon?“ ist ein gelungenes, eigenwillig, aber gut gezeichnetes und kurzweiliges Graphic Novel, über den Wahnsinn Abschlussarbeit und die teilweise tragikomischen und absurden Situationen, die Studierende dabei erleben. Vor allem fortgeschrittene Studierende, die etwa gerade an der Bachelor-, Master-/Diplom- oder sogar Doktorarbeit schreiben, dürften sich selbst und den akademischen Betrieb hier augenzwinkernd in einigen Passagen wiedererkennen. Einen guten Grund für weitere Prokrastination stellt dieser gut 170 Seiten starke Comic allemal dar. Die eigene schriftliche Arbeit kann ja schließlich noch ein bisschen warten.


(Das Buch wurde vom Knaus bzw. Random House Verlag zur Verfügung gestellt.)

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